Lesungen im November 2020

Ein strenges Schutzkonzept ermöglichte es uns, dass wir im Rahmen von «Literatur live» auch im Corona-Jahr 2020 vier Literaturschaffende für Lesungen an unserer Schule begrüssen durften.

Stephan Pörtners neuster Krimi «Pöschwies»

Spoken-Beats mit Jurczok 1001

Tabea Steiners Erstlingsroman «Balg»

Lesung mit Robert Prosser

Die Eröffnung machte der Zürcher Krimiautor Stephan Pörtner. Sein erster Krimi «Köbi der Held» (1998) war einer der ersten Züri-Krimis überhaupt: Er erschien noch bevor es das Genre «Regio-Krimi» überhaupt gab. Normalerweise endet ein Krimi damit, dass der Täter im Gefängnis landet. Bei Pörtner beginnt der neuste Krimi «Pöschwies» mit der Entlassung seines Ermittlers Köbi aus dem Gefängnis. Und als ob er nicht genug Probleme mit Wohnungs- und Stellensuche hätte, schliddert Köbi in einen neuen Fall hinein. Dass Stephan Pörtner in den frühen 80er Jahren sein Leben dem Punkrock und der Politik widmete und ausserdem zehn Jahre lang erfolgreich ein Getränkeunternehmen führte, merkt man an den fachkundigen Passagen im Buch. Mit seinem tragbaren Retro-Schallplattenspieler vermittelt Stephan Pörtner den jugendlichen Zuhörerinnen und Zuhörern einen echten Eindruck von der Rock- und Punkszene seiner Jugend in den 80er Jahren, wo jede Party in der Küche einer WG an der Langstrasse endete. Alle Kapitel seines Buchs tragen als passende Überschrift den Titel und Namen einer Punk-Rock-Band. Diese Songs können als Spotify-Playlist «Köbi Musik» parallel zum Lesen angehört werden, was den Lesegenuss weiter steigert.

Mit der Performance einer seiner ersten Spoken-Beats über den Bahnhof Wädenswil und einer gekonnt performten Beatbox-Einlage gewinnt Jurczok 1001 sein jugendliches Publikum sofort für sich. Dass Erfolg nicht vom Himmel fällt, hat Jurczok 1001, der mit bürgerlichem Namen Roland Jurczok heisst, gleich zu Beginn erläutert. Doch Beharrlichkeit und Ideenreichtum zahlen sich aus: Dank einem Stipendium konnte er 2016 in New York leben. In dieser Zeit entstanden seine «Shirt-Stories», die kürzer sind als «short stories». Einen Tag lang notierte er alle T-Shirt-Aufschriften, die er in den Strassen New Yorks lesen konnte, und setzte diese getrennt nach männlichen und weiblichen Träger/innen zu seinen amüsanten und überraschenden «Shirt-Stories» zusammen. Die Sprache wird bei ihm zum Spiel, nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Text. Für seine Performances benutzt Jurczok 1001 selbst nach all den Jahren noch immer Textblätter. Die Blätter tragen Spuren ihres Gebrauchs, lassen den Auftritt erkennen: Streichungen, Notizen, Vortragsweise, Tempobezeichnungen und Intonation sind mitzulesen und machen die Performance geradezu erlebbar. Damit auch die Schülerinnen und Schüler diese Vorgehensweise nachvollziehen können, teilt ihnen der Künstler den gedruckten Text mit seinen Kommentaren zum Mitlesen aus, bevor er das Stück  «Gib mir…» performt. Der Autor begeistert die Lernenden: Diese gruppieren sich nach der Lesung zahlreich um ihn, um ihm weiterführende Fragen zu stellen.

Eine Woche später folgen zwei junge Literaturschaffende: die Ostschweizerin Tabea Steiner und der Tiroler Robert Prosser. Tabea Steiner liebt es zu lesen und zu schreiben. Von der Literatur war sie schon früh begeistert. Im Rahmen ihrer Tätigkeit als Literaturvermittlerin initiierte die Thurgauerin das Thuner Literaturfestival und ist Mitorganisatorin des Berner Lesefests «Aprillen». Ihr erster eigener Roman «Balg» erhielt viel Beachtung und war für den Schweizer Buchpreis 2019 nominiert. Tabea Steiner liest aus dem ersten Kapitel ihres Romans, sodass die Zuhörerinnen und Zuhörer ohne lange Einführung direkt in die Geschichte eintauchen können. Im anschliessenden Gespräch verdeutlicht die Autorin, welche Schwierigkeiten entstehen, wenn sich die Geschichte über eine Zeitspanne von 16 Jahren abspielt. Allein die technische Entwicklung in diesem Zeitraum ist rasant und muss miteinbezogen werden. Es folgen viele anregende Fragen aus dem Publikum, die selbst für die Autorin überraschend sind.

Mit Robert Prosser haben wir dieses Jahr auch einen Schriftsteller aus dem benachbarten Tirol zu Gast. Der studierte Kultur- und Sozialanthropologe hat vielfältige Interessen. In jungen Jahren übte er sich in Hip-Hop und Graffiti, bevor er sich bewusst für das Schreiben entschied. Nach Versuchen in Spoken Word folgte lyrische Prosa, bis er schliesslich seinen ersten Roman verfasste. Dazu reiste er zur fundierten Recherche in die jeweiligen Länder. Er erzählt über seine Aufenthalte in Tadschikistan, Asien, der arabischen Welt und den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens. Sein frei vorgetragener Text aus seinem Buch «Gemma Habibi» beschreibt die Geschichte eines Boxers, der seinen wohl wichtigsten Kampf in seiner Karriere antritt – ein aktueller Roman über unsere heutige von Flucht und Migration geprägte Zeit. Dass ein Autor nicht allein über sein Werk entscheiden kann, erklärt Robert Prosser anhand seines Buchtitels: Mit dem von ihm gewählten Titel «Licht in der Distanz» gab sich der Verlag nicht zufrieden, da er einen Hingucker im Bücherregal der Buchhandlungen platzieren wollte. So entschied sich der Verlag für den Titel «Gemma (österreichisch, steht für «gehen wir») Habibi» (arabisch, steht für «Freund»). 2015 war der Autor mit seinem Erstlingsroman «Phantom» gleich auf der Longlist des Deutschen Buchpreises gelistet und bereits zweimal landete er mit seinen Werken auf der ORF-Bestenliste. So darf man zurecht gespannt sein auf seine weiteren Publikationen.