Intensivseminar in Wien

Das erste Juniwochenende vom 3. bis 6. Juni 2016 stand für einige Schüler/innen der Ausrichtung Gestaltung und Kunst im Zeichen der Wiener Moderne.

Über den Dächern von Wien

Ausgehend von den historistischen Anlagen am Ring, konnten wir die Stadtentwicklung um 1900 während eines zweistündigen Spazierganges nachvollziehen. In Blickweite lagen die pompösen Neo-Renaissancebauten Sempers, das neoattische Parlamentsgebäude, das neogotische Rathaus und das Heldentor. Theoretische Erklärungen machten vor dieser Kulisse für jeden nachvollziehbar, weshalb der Historismus um 1900 von den modernen Kräften in Wien als «Potemkinsche Stadt» verunglimpft wurde.

Die drastischen Antworten der Neuerer auf die Historismuskritik wurden vor dem sogenannten «Looshaus» jedem auf den ersten Blick klar. Mitgebrachte Texte und Bilder halfen zu verstehen, wie bitterböse Architekturkritik damals vorgetragen worden war. «Ornament und Verbrechen», die bekannte Streitschrift des Architekten Adolf Loos, provoziert mit markigen Aussagen: «Alle Tätowierten sind Verbrecher» und falls Tätowierte noch nicht im Gefängnis sässen, sei dies nur eine Frage der Zeit... Derartiges entlockte unseren tätowierten Reisegenossinnen und Reisegenossen nur ein müdes Stirnrunzeln – glücklicherweise nahm es niemand persönlich.

Neben modernen Innenraumensembles der Jahrhundertwende, wie jenen des Kaufhauses Knize oder der American Bar, gab es immer wieder Begegnungen mit der zeitgleich entstandenen Bewegung des Wiener Jugendstils. Schon das Secessions-Gebäude dokumentiert die revolutionäre Kraft und den künstlerischen Eigensinn, den die Gründer um Gustav Klimt in die Diskussion um den richtigen Weg in die Moderne einbrachten.

Ein Mittagessen im Loos-Cafe Museum, das in Wien ob seiner spartanischem Einrichtung den Spottnamen «Nihilismus» erhalten hatte, stärkte uns für den Nachmittag. Ein Rundgang durch die spektakuläre Gemäldesammlung des Kunsthistorischen Museums ermöglichte es uns, künftigen Unterrichtsstoff anzusprechen und das Auge für regionale Stilunterschiede zu schärfen.

Gegen Abend wandelten wir durch die erst seit kurzer Zeit eröffnete Kunstkammer. Unter den unbeschreiblichen Präziosen war Cellinis «Saliera» eine besondere Attraktion. Ob die Faszination dem Kunstwerk selbst oder der gewalttätigen Biographie seines Urhebers galt, blieb ungewiss, denn die Schönheit des Werkes und der monströse Dreifachmord des bewunderten Goldschmiedes Benvenuto Cellini liessen sich nicht ohne weiteres in Verbindung setzen und eröffneten interessante Diskussionen zu Künstlermythos und Moral.

Nach einer durchfeierten Nacht in der «grellen Forelle» erfuhren wir tags darauf im Hofimmobiliendepot interessante Details zur Produktion und Herstellung von Sesselmodellen, besonders jenen frühen Massenprodukten aus dem Hause Thonet.

Am Nachmittag wartete ein nächstes Highlight auf uns. Wir erhielten Gelegenheit, das Depot des Naturhistorischen Museums zu besuchen und auf das Dach des Museums zu steigen, wo wir mit einem spektakulären Weitblick über die Stadt belohnt wurden.

Unser Abreisetag rückte näher, doch vor uns lag noch ein zweistündiger Rundgang in die Gruften und unterirdischen Ganganlagen Wiens. Nicht oft ist es möglich, einen Blick unter die Grabplatten der Kirchenböden zu werfen und dem Tod direkt ins Auge zu schauen. Es ist sicher kein Zufall, dass dies ausgerechnet in Wien möglich ist, einer Stadt, der man ein besonders ironisches Verhältnis zur morbiden Seite des Lebens nachsagt.

So warteten also auch auf uns ungeschönte Blicke in geöffnete Särge, die sich üblicherweise unter den Kirchenräumen sammeln. Interessante Erkenntnisse zu anthropologischen Befunden, Kostümgeschichte und Ikonografie der Barockzeit begleiteten diesen makabren Teil der Tour. Schliesslich ging es weiter in die tiefen Keller und Gänge, welche die Innenstadt von Wien unterirdisch durchziehen.

Nachdem wir wieder am Tageslicht waren, gönnten sich viele ein letztes Wiener Schnitzel, bevor wir uns alle für die Heimreise versammelten und die lange, von Kartenspielen und kulinarischen Experimenten begleitete Fahrt antraten.

Um Mitternacht erreichten wir Zürich. Auf dem Bahnsteig ereignete sich eine seltsam anmutende Szene, welche der Autorin unvergessen bleibt: Kaum standen alle gemeinsam auf dem Bahnsteig, wurde das Gespräch nahtlos fortgesetzt und niemand machte Anstalten auseinanderzugehen. In den Ausflugstagen haben sich offenbar neue Gefährten gefunden. Ein Gruppenfoto der übernächtigten Reiseteilnehmerinnen und Reiseteilnehmern bildete den endgültigen Schlusspunkt der diesjährigen BMS-Exkursion und weckte Vorfreude auf die nächste!